Hans Reichardt

Die Ergebnisse der Kavitationsversuche an Rotationskörpern versuchte Reichardt auch theoretisch zu begründen. Hierzu führten Münzner und Reichardt (Lit.2) eine Berechnung mit Hilfe der Theorie der konformen Abbildung durch.

In der Übersicht der Arbeit heißt es:

"Bei der schnellen Bewegung von Körpern in Luft oder Wasser ist die Frage von Wichtigkeit, bei welchen Körperformen gleicher Druck auf der Oberfläche herrscht. Diese Frage tritt einerseits bei der Berechnung der Form der Kavitationsblase hinter einem stumpfen Körper auf, andererseits auch bei dem Problem, für einen festen Körper eine solche Umrissformen zu finden, dass die Übergeschwindigkei-
ten auf seiner Oberfläche möglichst klein werden."

In der Zusammenfassung steht:

"Schließlich wird die für die praktische Anwendung bequeme phänomenologische Formel

                                                
mit dem Achsenverhältnis

                                                      
angegeben, die die Gleichdruckkonturen im Gleichdruckgebiet mit großer Genauigkeit wiedergibt."

Die Forschungsergebnisse Reichardt´s zeigten Lösungsmöglichkeiten für ein Problem auf, das in der Mitte des Krieges immer dringlicher geworden war.

Verbesserte Ortungsverfahren der Alliierten führten zu immer stärkeren Angriffen selbst gegen getauchte U-Boote. Es wurde deshalb nach Möglichkeiten eines Schutzes nachgedacht. So boten sich Raketen an, die vom getauchten U-Boot aus gegen U-Boot-Jäger gerichtet werden konnten. Nach den neuen Forschungsergebnissen schienen diese Überlegungen realisierbar.

Am 23.Juni 1943 fand in Kiel bei der Chemisch-Physikalischen-Versuchsanstalt der Marine, kurz CPVA, eine Besprechung statt, auf der den Teilnehmern vom KWI die Forderungen des Oberkommandos der Marine, kurz OKM, an die Leistungen einer Unterwasserrakete mitgeteilt wurden:

                  Laufstrecke        :       300 m

                  Geschwindigkeit :     > 60 m/s

                  Abschußtiefe      :    > 100 m

                  Nutzlastgewicht  :         50 kg

Der taktische Einsatz dieser Raketen war sowohl vom getauchten U-Boot aus gegen den U-Jäger als auch vom U-Jäger gegen das U-Boot gedacht.

Unter Leitung der CPVA wurden verschiedene Unterwasserraketen entwickelt und erprobt. Der gewünschte Erfolg stellte sich jedoch nicht ein.

Die interessanteste Variante ist in der untenstehenden Abbildung zu sehen. Sie zeigt eine Unter-
wasser-Rakete, die mit einer Prallplatte am Kopf und einer dahinter liegenden Bugdüse ausgerüstet war. Diese Düse sollte hauptsächlich zur Aufweitung der Kavitationsblase dienen. Der Hauptschub erfolgte durch eine Austrittsdüse am Heck. Zur Stabilisierung diente ein gleichkalibrischer Zylinder am Heck.

Mit dieser U-Rakete wurden aus 50 m Tiefe bei unterschiedlichen Schußrichtungen stabile Laufbahnen bis 220 m Länge erreicht. Jedoch konnten die geforderten Bedingungen aufgrund der Schwäche des Raketenantriebs nicht erreicht werden.

Gegen Ende des Krieges wurde Göttingen von britischen Truppen erobert. Die Wissenschaftler wurden in England interniert und mußten dort ihre noch ausstehenden Berichte vollenden. H.Reichardt schrieb dort im Oktober 1945 seine berühmt gewordene Arbeit "Die Gesetzmässigkeiten der Kavitationsblasen an umströmten Rotationskörpern (Lit.3).

Diese Arbeit wurde als Kriegsbeute betrachtet und stand nur den allierten Kriegsmächten zur Verfügung. Sie wurde erst zu einem späteren Zeitpunkt der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt.

In der Zusammenfassung der Arbeit heißt es:
"Im Wasser bewegte Körper veranlassen bei hoher Geschwindigkeit bzw. bei kleiner Kavitationszahl in ihrem Abstrom langgestreckte Hohlräume, die sogenannten Kavitationsblasen. Kavitationsblasen, die hinter Rotationskörpern auftreten, sind in der Freistrahl-Kavitationsanlage des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Strömungsforschung untersucht worden und zwar für verschiedene Körperformen und verschiedene Kavitationszahlen. Hierbei wurde gemessen der Durchmesser   d   des Ablösungsquerschnittes, der maximale Blasendurchmesser   dm  , die Blasenlänge   l  , die Widerstandszahl   cw   und die Kavitationszahl   σk  . Durch Verknüpfung dieser Größen auf Grund theoretischer Überlegungen ergaben sich gewisse allgemeine Funktionen der Kavitationszahl, bei denen der Einfluß der speziellen Körperform nicht mehr erkennbar ist. So sind in erster Näherung nur von der Kavitationszahl abhängig
           1. die auf den maximalen Blasenquerschnitt bezogene allgemeine Widerstandszahl   cwm   und
           2. das Achsenverhältnis dm/l der Blasen.

Daraus folgt unmittelbar, daß näherungsweise auch
          3. die reziproke Blasenweite in der dimensionslosen Form und
          4. die reziproke Blasenlänge in der dimensionslosen Form
nur von der Kavitationszahl abhängen.

Die vorliegenden Ergebnisse stehen im Einklang mit theoretischen Untersuchungen über rotations-
symmetrische Quellsenkenkörper mit überwiegend konstanter Druckverteilung, wie sie im UM-Bericht 6616 bereits mitgeteilt worden sind."

In der untenstehenden Abbildung sind die Ergebnisse graphisch dargestellt:

Außer den gemessenen Widerstandsbeiwerten sind in der folgenden Abbildung auch die auf den Anstellwinkel bezogenen Auftriebsbeiwerte ca dargestellt.

Die Ergebnisse der Unterwasserballistik in Deutschland wurden zur Kriegsbeute der Alliierten. Was mit seinen Forschungsergebnissen in der Nachkriegszeit von Amerikanern, Russen, Engländern und Fran-
zosen gemacht wurde, konnte Reichardt nie in Erfahrung bringen (persönliche Mitteilung). Er infor-
mierte viele ausländische Besucher über seine Arbeiten und Ideen. Selbst konnte er jedoch kaum an Informationen gelangen, da fast alle Tätigkeiten auf diesem Gebiet strengen Geheimhaltungsbestim-
mungen unterlagen.

Auf der folgenden Seite werden die zur Berechnung von Unterwasserlaufkörpern notwendigen Formeln zusammengefaßt.

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